Sa., 20.
Okt. 12

Glasmalerei auf höchstem Niveau

Von Jörg Hüddersen für Ev.-luth. Kirchengemeinde Lerbach.

Im Zuge der Fassadenrenovierung der Lerbacher Kirche werden auch die Fenster neu gefasst. Beauftragt damit sind die Glaswerkstätten F. Schneemelcher in Quedlinburg. Deren Chef Frank Schneemelcher hatte zu einer Besichtigung seiner Werkstätten eingeladen und so fuhr eine kleine Lerbacher Delegation am Freitag in den Ostharz.

Glasmalerei ist ein Kunsthandwerk mit einer viele Jahrhunderte alten Tradition. Meist siedelten sich die Betriebe in der Nähe großer Dome an. In Mitteldeutschland reichten diese jedoch nicht für eine dauerhafte Ansiedlung vor Ort aus, sodass sich überregional tätige Zentren herausbildeten. Diese Zentren erlebten über die Jahrhunderte immer wieder Wellen, in denen es besonders gut lief -genauso wie solche, in denen dieses Handwerk eher ins Vergessen geriet.

Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 erlebte das Handwerk in Deutschland einen großen Aufschwung: die Reparationszahlungen der Franzosen führten zu einem regelrechten Bauboom im Kaiserreich - im sakralen wie auch im Bereich öffentlicher Gebäude. Noch heute sieht man den Kirchen, Bahnhöfen und Postämtern dieser Zeit eine große Ähnlichkeit an, die aus einer hohen Zahl von Neubauten nach ähnlichen Entwürfen resultiert.

Diese Gebäude wurden häufig auch mit Glasmalereien ausgestattet. Um den Bedarf zu decken, produzierten die Betriebe damals Fenster vor und passten sie der Fensteröffnung nur durch unterschiedlich breite Bordüren an. Für Kirchen gab es die wichtigsten Heiligen in drei Ansichten und Jesus-Darstellungen in einem Dutzend verschiedenen Ansichten praktisch von der Stange. Auf diese Weise konnte die Branche am Ende des 19. Jahrhunderts jährlich rund 100 Kirchenneubauten komplett ausstatten. Dieser Boom hielt auch während der nachfolgenden Epoche des Jugendstils an.

Danach ging der Bedarf spürbar zurück. In den 1940er Jahren wurden mit dem Beginn des zweiten Weltkrieges hauptsächlich noch alte Fenster vor den Folgen des Krieges gesichert.

Nach dem Krieg kam die Glasmalerei völlig aus der Mode. Im Westen als Kitsch und im Osten als kapitalistische Kunst verunglimpft bestand kaum noch Nachfrage. An die Stelle gemalter Fenster traten allenfalls in Blei gefasste bunte Scheiben.

In der DDR wurden die verbliebenen Betriebe 1963 zwangskollektiviert und in Quedlinburg angesiedelt. Mit den alten Maschinen aus den 1930er und 1940er Jahren wurde bis zur Wende weitergearbeitet. Gleichzeitig wurde der Quedlinburger Betrieb Ausbildungswerkstatt der Universität Halle. Angehende Glasmaler mussten hier zunächst eine dreijährige Ausbildung durchlaufen, bevor sie an die Hochschule gehen konnten.

Letzter staatlicher Leiter des DDR-Betriebs war Frank Schneemelcher, dessen Urgroßvater bereits 1886 einen Glasmalerbetrieb in Quedlinburg gründete. Anfang 1990 wagte er den Neustart in der Marktwirtschaft, als die Universität Halle ihre Ausbildungswerkstätten aus hochschulpolitischen Gründen schließen musste. Was zunächst wie ein Nachteil gegenüber den Westbetrieben aussah, sollte sich als großer Vorteil herausstellen: durch die Mangelwirtschaft der DDR haben sich anders als im Westen der Republik die alten Techniken des Handwerks erhalten. Hinzu kam, dass viele alte Entwürfe noch vorhanden waren oder bei Restaurierungsarbeiten als Untergrund von Tapeten auf Lehmwänden wiedergefunden wurden. Außerdem hatten viele Fenster aus dem späten 19. Jahrhundert ihre Lebenserwartung von 100-120 Jahren erreicht und mussten restauriert werden.

Heute ist die Firma Schneemelcher weit über die Grenzen Mitteldeutschlands hinaus bis ins europäische Ausland hinein tätig. Neben Restaurierungen werden auch Neugestaltungen ausgeführt. Dabei gibt es in Deutschland eine eiserne Regel: die Glasmalkünstler sind auf keinen Fall Angestellte der entsprechenden Betriebe. Das verhindert viele kleine Kompromisse, die man sonst vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen eingehen würde. So wirkt z.B. die Bleifassung eines Glases gegen das Licht betrachtet wie ein Konturstrich und wird daher in vielen unterschiedlichen Breiten eingesetzt. Billiger - aber künstlerisch eben nur ein Kompromiss - wäre es, nur eine oder zwei verschiedene Breiten einzusetzen. Das Gleiche gilt für die Farbnuancen der Gläser, die in Deutschland nur in einer einzigen Glashütte in 5000 verschiedenen Schattierungen mundgeblasen hergestellt werden. Auch hier könnten andere Produzenten billigere Gläser liefern  nur eben nicht in dieser farblichen Vielfalt.

In den letzten Jahren haben aber auch einige Neuerungen Einzug gehalten: zum einen können heute größere Glasstücke hergestellt werden, weil die Öfen zum Einbrennen des zum Malen benutzten Schwarzlots bis zu 2m² große Stücke aufnehmen können. Dabei können auch Muster aus Glas auf die Oberflächen aufgebracht werden. Eine Innovation der Firma Schneemelcher ist ein Verfahren, das stufenlos zu- oder abnehmende Satinierungen von Gläsern erlaubt - ideal zum Einsatz in Fenstern, die unten undurchsichtig sind und nach oben hin glasklar werden.

Besonders stolz ist Frank Schneemelcher auf seine Teilnahme an der Ausstellung "Zeitgenössische Glasmalerei in Deutschland" im französischen Chartres. Hier werden Werke renommierter deutscher Künstler gezeigt, von denen einige in der Quedlinburger Werkstatt gefertigt wurden.

Die Fenster der Lerbacher Kirche befinden sich ebenfalls in Arbeit und könnten bei günstigem Wetterverlauf noch vor Weihnachten in neuem Glanz wieder eingesetzt werden. Dazu werden die einzelnen Scheiben dezent satiniert. Die Eisenrahmen werden gesandstrahlt und neu lackiert, bevor alles wieder zusammengesetzt wird. Um auch hierbei höchste Qualität liefern zu können, werden alle Arbeiten von Mitarbeitern der Firma Schneemelcher ausgeführt. Längst sind die alten Handwerkstechniken in der Schlosserei (und ebenso im Maurerhandwerk) in modernen Handwerksbetrieben in Vergessenheit geraten und eine fachgerechte Instandsetzung können nur noch entsprechend fortgebildete Spezialisten leisten. 

Links zum Thema:

Von Künsterhand entworfen und von Meisterhand gefertigt
Frank Schneemelcher (rechts) erläutert sein Handwerk
Eines der Lerbacher Kirchenfenster
Begutachtung des Ergebnisses aus allen Blickwinkeln
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